Urbane Fotografien von Daniel Sebastian Schaub
„Authentische Räume in urbanen Randzonen“ zeigt Ladengeschäfte für Waren und Dienstleistungen, die eine starke und eigenwillige Identität aufweisen. Ich fotografierte Gewerbe unterschiedlichster Art in genutzten und durchaus belebten Gegenden verschiedener Großstädte. Hieraus entstand ein breites Spektrum an Orten: Ladengeschäfte mit übertrieben hoffnungsvollen Namen, die die Tristheit der Örtlichkeiten zu kompensieren versuchen, aber auch die Illusionen der Menschen widerspiegeln; – Geschäfte, deren Namensgebung eine traurige Realität und den Warencharakter des Lebens fokussieren; – Ladenfassaden, in denen Geschichten des Abstiegs gelesen werden können; – ästhetisch unangepasste Läden, die als Relikte vergangener Zeiten in Erscheinung treten.
Sie alle haben den geografischen Standort gemeinsam, denn sie befinden sich stets in urbanen Randzonen. Gerade diese Lage macht es möglich, dass sie eine authentische Wirkung und eine starke Unmittelbarkeit entfalten können. Auf Grund ihrer hohen Individualität sind sie unverwechselbar und symbolisch höchst wertvoll. Fernab der gängigen Logik der Verwertbarkeit haben sie einen Platz im urbanen Raum eingenommen und ihre Anwesenheit über lange Zeit sichern können.
Die aktuellen Aufwertungstendenzen in marginalisierten Stadtlagen erzeugen jedoch erhebliche Veränderungen und führen langfristig zum Verschwinden dieser bedeutsamen Orte und der damit zusammenhängenden Milieustrukturen. Hierdurch reduziert sich nicht nur das breite Spektrum an individuellen Ladengeschäften für Waren und Dienstleistungen sowie die Differenziertheit an stadträumlich interessanten Orten, sondern auch die Vielfalt an sozialen Lebensformen und Seinsweisen. Im Ergebnis entstehen uniformierte Sozialstrukturen, die einer überhöhten ökonomischen Verwertung unterliegen.
Gentrifizierung ist ein langwieriger Prozess, der schleichend aber zielsicher voranschreitet. Aufklärungsarbeit als erzieherisches Moment macht in diesem Zusammenhang insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen Sinn, da sie mit unter zu den wichtigsten Vorboten und Pioniere der Aufwertungsprozesse gehören. Die Sensibilisierung von Jugendlichen für dieses Thema wollen wir mit unseren Veranstaltungen – Ausstellung, Diskussions- und Filmabend – anstoßen. Handlungsstrategien zur positiven Einflussnahme auf die eigenen Kiez-Strukturen sowie politische Herangehensweisen und eine kritische Haltung gegenüber rein ökonomisch gesteuerten Handlungsweisen wollen wir entwickeln und aufzeigen. Deshalb sind gerade auch Jugendliche und Jugendgruppen zum Diskussions- und Filmabend eingeladen, da es dort vorrangig um Strategieentwicklungen gehen wird. Neben der dokumentarischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Herangehensweise unseres Projekts zeigen sich auch experimentelle Züge im begleitenden Musikprogramm am Eröffnungsabend.
Rückschau:
Mein erstes Projekt „Ruinen und Brachen der Stadt“ beschäftigte sich mit verlassenen und sozial entkoppelten Räumen. Dabei setze ich Gebäude und Gebiete in Szene, die sich außerhalb einer funktionierenden gesellschaftlichen Struktur befinden. Im Stadtbild gelten diese als unwillkommene Vorkommnisse, da sie Ausdruck verfehlter Hoffnung auf gesellschaftliches Wachstum sind. Meiner Interpretation zufolge eignen sich diese Orte jedoch hervorragend, um erprobte Denkmuster und gesellschaftliche Leitbilder zu überwinden.
Mit dem Projekt „Die gefährdete Moderne. Gebäude urbaner Neuordnung“ mache ich auf den symptomatischen Verfall der Nachkriegsmoderne und das Verschwinden der damit einhergehenden gesellschaftlichen Werte in der Bundesrepublik aufmerksam. Sie sind Relikte der Zukunft, denn sie symbolisieren Zukunft im doppelten Sinne: Zum Einen die visionären Ideen ihrer Konzeption, zum Anderen die Prozesse der Abwesenheit und der Funktionslosigkeit in jüngst erzeugten Gesellschaftsbereichen. Hierfür fotografierte ich ganze Gebäude oder einzelne Fassaden und transformierte sie in surreale Landschaften, in Raum– und Zeitschiffe und in fiktive Übergangsräume. Meine Wahl der Perspektive führt zur Enthüllung des Wesens dieser Bauten. Die Idee unendlicher Weite in Raum und Zeit tritt damit ästhetisch vollendet in Erscheinung.
Diskussionsabend zur Aufwertung durch Kunstarbeit
Arbeitstitel: Gentrifizierung vs. Kunstarbeit ?
Termin: Diskussionsabend am Sa. 30.Okt. Uhrzeit: 19:00 und [ostprinzessin liest live] “Ich bin’s nicht gewesen! Eine
Gentrification-Satire für Unschuldige.” [www.ostprinzessin.de]
Termin: Filmabend am Sa. 29. Okt. Uhrzeit: 19:00
Konzeption des Diskussionsabend:
Wir wollen eine Plattform für einen offenen Austausch über die Thematik der Stadtaufwertung im neoliberalen Sinne bieten. Die soziale Umstrukturierung eines Stadtgebiets erfolgt in mehreren Phasen über längere Zeiträume. Hierbei üben verschiedene Akteure aus Politik, Wirtschaft und Kultur maßgeblich Einfluss zur Durchsetzung ihrer Interessen auf die vorhandenen Milieustrukturen aus. Eine soziale Neustrukturierung erfolgt nicht nur durch finanzkräftige Großinvestoren oder durch politisch initiierte Maßnahmen auf Landes- und Bezirksebene, sondern auch durch künstlerische Enklavenbildungen und Pioniernutzungen in marginalisierten Stadträumen.
Unsere Veranstaltung soll einen Einblick in die Thematik der Gentrifizierung ermöglichen. Dabei liegt der inhaltliche Schwerpunkt auf ihrer ersten Phase, die kulturelle Aufwertung durch Künstler_innen und subkulturelle Strukturen. Sowohl die Ausstellungsthematik als auch die Künstlervereinigung „Kolonie-Wedding“ beinhalten gute Potentiale, um die Diversitäten und Widersprüchlichkeiten kultureller Aufwertungsprozesse zu veranschaulichen und zu verhandeln. Wir nehmen unsere prekäre Lage als Künstler und unser sozial-kulturelles Handeln zum Anlass, um über strukturelle Abhängigkeiten und praktische Handlungsspielräume zu sprechen.
Ziel ist es, in einem ersten Schritt das politische Bewusstsein für das jeweils eigene sozial-kulturelle Schaffen zu sensibilisieren sowie die Gesamtlage der Künstler und Kulturschaffenden – verstanden als soziale Gruppe – in diesem Prozess zu erörtern. Denn es ist von größter Wichtigkeit, dass wir Kunst- und Kulturstandorte aus dem subkulturellen Milieu stärker gesellschaftspolitisch bewerten und uns über unsere Rollen in Aufwertungsprozessen bewusst werden. Hierdurch sollen in einem zweiten Schritt künstlerische, politische und soziale Vermittlungsstrategien erarbeitet und aufgezeigt werden, um nachhaltig künstlerische und subkulturelle Strukturen zu verankern um somit eine Kommerzialisierung und die damit verbundene ökonomische Aufwertung, als Akteure und Aktanten bewusst steuern zu können.
Struktur des Panel:
Für das Panel vorgesehen sind folgende Positionen:
1 Künstlerposition
1 Kulturtheoretische Position
1 Verwaltungsposition (Bezirksverwaltung/Kultur)
1 Stadtsoziologische Position
1 Moderation
Für die verschieden Positionen sind angefragt/angedacht:
Kü:
Chris de Lutz (kü. Kolonie Wedding / art lab.berlin) zugesagt
Jovan Balov ( KW / prima center)
Ku:
Regine Rapp (Kunstwissenschaftlerin / art lab. Berlin) zugesagt
Vw:
Kerstin Sittner-Hinz (Amt für Weiterbildung und Kultur Fachbereich Kunst und Kultur Mitte)
Christian Hanke (Bezirksbürgermeister Berlin/Wedding)
Sts:
Karin Baumert (Stadtsoziologin und Aktivistin Abriss Berlin) zugesagt
Andrej Holm (Stadtsoziologe / Gentrifikationsforscher) zugesagt
Verortung der Künstler: Schilderungen aus der alltäglichen Wirklichkeit des Gentrifizierungsfaktors (Künstlerposition)
Verortung der öffentlichen Verwaltung: Erörterung, wie aus der Sicht der Stadtverwaltungen für Kultur mit diesem Phänomen umgegangen wird bzw. inwiefern diese selbst an der Initiierung von Aufwertungsprozessen beteiligt sind und wie sie diese forcieren und nutzen.
Verortung der kulturtheoretischen Position: Wie ist die Gentrifizierung im kulturellen Bereich zu verorten? Darstellung, der Aufwertungsprozesse innerhalb der kulturtheoretischen Position und die Folgen der impliziten Stadtteilaufwertung durch den künstlerischen Arbeitsprozess.
Verortung der stadtsoziologischen Position: Theoretisierte Darstellung der verschiedenen Dynamiken der Aufwertungsprozesse in Stadtgebieten mit besonderem Augenmerk auf die Künstler_innenposition.
Filmreihe
Mögliche Termine: Fr. 29.Okt.
Filmtitel: Empire St. Pauli – von Perlenketten und Platzverweisen. Ein Dokumentarfilm von Irene Bude und Olaf Sobczak. Eine Dokumentation über die Aufwertungs- und Veränderungsprozesse in St. Pauli.
http://www.empire-stpauli.de/index.php
In Anwesenheit von Steffen Jörg (Produktion: GWA St. Pauli)