Peluquería in Progress
Karina Villavicenco und Guillermo Tirelli18.05.2013 (20:30)
OKK – Organ kritischer, Raum29 | Prinzenallee 29, 13359
Zwei Performer in einer Kunstgalerie. Sie steht im Zentrum und kämmt sich. Ein Text wird projiziert.
Er notiert etwas, filmt es und erst danach werden wir wissen, dass es „Vermerk dieser Frage“ heißt. Er wendet ihr die Kamera zu. Frage als Beginn der Aktion.
Seit mehr als 20 tausend Jahren und wahrscheinlich schon früher, schneiden, frisieren und kämen die Menschen ihr Haar, um sich daran zu erfreuen, anderen zu gefallen und um sich vom Ausgangszustand, der Natur, abzugrenzen. Dies bedeutet die Entstehung der Kultur. Bis zum heutigen Tage wird das Haar als Referenz für Integration, Mimesis oder Demonstration gegen die vorherschende Kultur gesehen (Erkennungszeichen für Geschlecht, Klasse, Alter, Familienstand, Religion).
Gleichzeitig spiegeln die Farbabstufungen verschiedene Herkunftskulturen wieder. Das Haar zeigt das Fremde an, zeigt sein Nomadendasein. Die Notwendigkeit zu gefallen und sich mittels seiner Selbstverwandlung zu integrieren wird daher immer dringlicher. Die Selbstverwandlung bedeutet auch den Schnitt, welcher sowohl Fragen der Schönheit als Begründung liefert, als auch deren Gegenteil, nämlich den Verzicht auf die mondäne Schönheit. Sich den Kopf zu rasieren war schon immer ein Zeichen eines bestimmten Ritus initiativer, religiöser oder säkularer Natur.
Das Haar, als Loslösung von sich selbst, Verlust des Selbst, ist eine beginnende Form von Eigentum (als von mir getrenntes Objekt über das mein Wille noch Macht hat). Sehen lässt sich dies auch in Reliquienschreinen, welche die Tradition der Aufbewahrung des Haares eines geliebten Menschen aufnehmen mit dem Ziel das Ableben zu beschwören. Der Reliquienschrein schützt vor dem Sinnverlust (“Teile des Körpers die heute “Ich” sind und morgen hinaus geschmissen werden und mit dem Müll verschwinden”)
Das was eigen ist kann weggeben werden. Haar zu geben hieße sich selbst hinzugeben oder den Wunsch auszudrücken sich selbst hinzugeben. Von Bedeutung aufgeladenes Haar. Das Gleiche geschieht mit Wörtern. Wenn sie ehrlich sind, sind sie ein Geschenk, worauf der an die Wand projizierte Text wiederholt aufmerksam macht.
Und trotzdem gilt das nachwachsende Haar als Symbol der Neugeburt. Erneuerung im Laufe der Zeit. Spannung mit dem Tod, memento mori, Verlust dessen, was der Körper war und Schritt in Richtung des endgültigen Verlustes.
Die Haare sind in anderen Umständen gewachsen, in anderen Ländern oder anderen Orten. Sie tragen Geschichte, so wie die Bäume ihr Alter durch die Ringe ihres Stammes offenbaren. In den Schreinen will man den Prozess des Verlustes der Reliquien aufhalten indem man sie aufbewahrt, weil jemand von uns gegangen ist (“Ich werde gehen, du wirst bleiben, die Stelle betrachtend, wo du gewohnt warst mich zu sehen”), Zeuge und Anwesenheit-Abwesenheit einer bedeutsamen unwiederbringlichen Zeit.
Durch die Schenkung des eigenen Haares öffnet man sich für die Akzeptanz dessen, was man ist (Akt des Selbstvertrauens) und die die Dimension der Zeit miteinbeziehend, dessen was man nicht sein wird und dessen was man war.
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Mai 2013 MPA (month of performance-art)
www.mpa-b.org
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